· Katharina Kunze · Psychologie · 8 min read
Die Angst
Angst ist eines unserer ältesten Gefühle, ein Schutzmechanismus, der uns hilft zu überleben. Doch was passiert, wenn sie überhandnimmt? Ein Einblick in Körper, Gedanken und Therapie.

Die Angst
„Angst wurde im selben Moment wie die Menschheit geboren. Und da wir sie niemals meistern können, müssen wir lernen, mit ihr zu leben, so wie wir gelernt haben, mit Stürmen zu leben.“
(Paulo Coelho)
Was ist Angst?
Angst gehört zu den angeborenen Basisgefühlen, mit denen jeder von uns auf die Welt kommt. Gerät der Mensch in Gefahr, so werden Stresshormone, besonders Adrenalin und Cortisol, ausgeschüttet.
Angst ist nicht nur ein psychisches Phänomen, sondern zeigt sich auch immer auf der körperlichen Ebene. Dabei wird das autonome Nervensystem aktiviert, das sich in Sympathikus und Parasympathikus unterteilt.
Der Sympathikus ist dafür verantwortlich, dass wir in einer Gefahrensituation innerhalb kürzester Zeit in den Kampf- oder Fluchtmodus schalten.
Der Parasympathikus ist wiederum für die Entspannung und die Wiederherstellung des Gleichgewichts verantwortlich. Es handelt sich um einen evolutionär verankerten und sehr sinnvollen Mechanismus.
Was sind die typischen körperlichen Reaktionen der Angst?
Hier ist zunächst das Herz-Kreislauf-System zu erwähnen. Dabei beschleunigt sich der Herzschlag, der Blutdruck steigt, die Durchblutung wird auf Muskeln und lebenswichtige Organe umverteilt.
Die Atmung wird schneller und flacher (Hyperventilation), um den Körper mit mehr Sauerstoff zu versorgen. Die Muskulatur wird angespannt und Zittern kann auftreten, da der Körper sich auf Flucht und Angriff vorbereitet.
Es kommt zum vermehrten Schwitzen, um eine Überhitzung des Körpers zu verhindern und gleichzeitig die Haut rutschiger zu machen (Schutzreaktion).
Die Magen-Darm-Tätigkeit wird gedrosselt, was zu Übelkeit, Durchfall oder einem „Kloß im Hals“ führen kann. Auch das Hormonsystem ist davon betroffen, indem es Adrenalin und Cortisol ausschüttet, die den Körper in Alarmbereitschaft halten.
Viele Patienten befürchten in dieser Situation, ohnmächtig zu werden. Ohnmacht tritt jedoch normalerweise auf, wenn der Blutdruck stark abfällt oder das Gehirn nicht genug Sauerstoff bekommt. Unter Angst ist das Gegenteil der Fall, der Körper ist hochaktiv und optimal mit Blut und Sauerstoff versorgt. Deshalb kann man in Momenten echter Angst normalerweise nicht ohnmächtig werden, man ist im Gegenteil sehr aufmerksam und leistungsfähig.
Zusammenfassend kann man sagen, dass diese körperlichen Reaktionen normal sind, und sie gehen auch wieder vorbei, sobald die Angst nachlässt. Wer versteht, dass Angst eine ganz natürliche Körperreaktion ist, kann leichter einen Schritt zurücktreten und ruhiger damit umgehen.
Wenn keine Gefahr da ist, und wir trotzdem Angst spüren
Aber was ist, wenn keine Gefahrensituation vorliegt und wir trotzdem Angst spüren und unangenehme körperliche Empfindungen entwickeln? Welche Rolle spielen die Gedanken bei Angst?
Wenn ich abends durch einen Park gehe und Schritte hinter mir bemerke, habe ich verschiedene Möglichkeiten, diese Situation zu bewerten.
Ich könnte mir sagen: „Da läuft einfach jemand, der wie ich einen Abendspaziergang macht.“ In diesem Fall empfinde ich keine Angst, weil ich die Situation als harmlos einordne.
Ich könnte aber auch denken: „Da folgt mir jemand, vielleicht möchte er mir etwas Böses tun.“ Allein durch diese Bewertung löst mein Körper automatisch eine Stressreaktion aus, Herzklopfen, schnelle Atmung, Anspannung der Muskeln.
Das liegt daran, dass mein Sympathikus, also der Teil des Nervensystems, der uns in Alarmbereitschaft versetzt, aktiviert wird und mich auf eine mögliche Gefahr vorbereitet.
So zeigt sich: Nicht die Situation selbst ist entscheidend, ob Angst entsteht, sondern die Bewertung, die ich ihr gebe.
Angst durch Gedanken
Angst ist nicht immer das Resultat einer Gefahr, sondern das unserer Gedanken und Vorstellungen. Wir bewerten Situationen ständig, oft unbewusst, und diese Bewertungen beeinflussen, wie wir uns fühlen und wie infolgedessen unser Körper reagiert.
Ein Beispiel: Du sitzt in einer Prüfung und denkst:
- „Ich werde ohnmächtig.“
- „Ich glaube, irgendwas passiert gerade mit mir.“
- „Ich werde keine einzige Frage beantworten können.“
- „Ich bin ernsthaft krank.“
- „Ich werde es in der vorgegebenen Zeit bestimmt nicht schaffen können.“
Diese Gedanken lösen eine starke Angstreaktion aus, obwohl die Situation objektiv gesehen keine gefährliche ist. Dein Körper reagiert dann genauso, als wäre eine echte Bedrohung da, Herzrasen, flache Atmung, Muskelanspannung, Schweißausbrüche, der Magen zieht sich zusammen oder drückt „Kribbeln im Bauch“, der Darm arbeitet stärker, du verspürst den Drang, aufs Klo zu müssen.
Viele Menschen, die zur Angst neigen, suchen oft im Internet nach Antworten. Sie geben beispielsweise Symptome ein, um herauszufinden, ob hinter einem bestimmten körperlichen Empfinden eine ernsthafte Krankheit steckt, oder sie verfolgen Nachrichten über Unfälle und Katastrophen, weil sie hoffen, dadurch besser vorbereitet zu sein.
Das Problem dabei: Suchmaschinen und soziale Netzwerke merken sich, wonach wir suchen. Sie zeigen uns dann automatisch noch mehr Inhalte, die zu diesen Themen passen. Wer also ängstlich nach Symptomen oder Unglücken recherchiert, bekommt im Laufe der Zeit immer wieder ähnliche Berichte vorgeschlagen, oft Schlagzeilen, die die Unsicherheit noch verstärken.
So entsteht ein Kreislauf, in dem die Angst durch den ständigen Informationsfluss eher größer als kleiner wird. Die Gedanken kommen nach einer solchen Internetrecherche oft nicht zur Ruhe. Immer wieder kreisen sie um das Gelesene, um mögliche Krankheiten, um schlimme Nachrichten, um das „Was wäre, wenn …“. Dieses gedankliche Grübeln verstärkt die Unsicherheit zusätzlich. Selbst wenn die Information objektiv gar nicht relevant ist, bleibt sie wie ein Stachel im Kopf zurück und löst neue Fragen und Sorgen aus.
Gerade dadurch entsteht ein Teufelskreis, die Suche nach Sicherheit führt noch mehr zu Unsicherheit. Der Mensch steht andauernd unter Stress.
Um diesen Kreislauf zu durchbrechen, kann es hilfreich sein, das eigene Suchverhalten bewusst einzuschränken. Das bedeutet nicht, alle Informationen zu vermeiden, aber gezielt und maßvoll zu recherchieren. Manchmal ist es besser, Unsicherheiten im Gespräch mit einer vertrauten Person oder in einer Therapie zu klären, anstatt stundenlang Suchergebnisse zu durchforsten. So behält man eher das Gefühl von Kontrolle und lässt der Angst weniger Raum, sich zu verstärken.
Körper und Verhalten in der Angst
Wenn wir Angst spüren, spüren wir das nicht nur innerlich, sondern, wie beschrieben, auch mit bestimmten Reaktionen unseres Körpers. Unser Nervensystem schaltet in Alarmbereitschaft und bereitet uns auf Kampf, Flucht oder Erstarrung vor, die sich dann in einer völligen Bewegungslosigkeit äußern kann.
Wenn die Angst besonders stark wird, kann sie sich bis zu einer Panikattacke steigern. Dabei ist die Angst überwältigend und geht mit heftigen körperlichen Symptomen einher, Herzrasen, Atemnot, Schwindel, Zittern oder dem Gefühl, die Kontrolle zu verlieren oder sogar zu sterben.
Oft beginnt dann eine schnelle, flache Atmung (Hyperventilation), die die Symptome noch verstärken kann. Die Panikattacke kann mehrere Minuten andauern und geht wieder vorbei, da der Parasympathikus sofort entgegensteuert, um das Gleichgewicht wiederherzustellen. Viele Menschen fühlen sich danach sehr erschöpft.
Neben den körperlichen Reaktionen zeigt sich Angst auch im Verhalten. Viele Menschen entwickeln Strategien, auch leider oft die falschen, um mit den subjektiv empfundenen beängstigenden Situationen umzugehen und diese möglichst zu vermeiden oder abzuschwächen.
Die Betroffenen entwickeln typische Verhaltensweisen, sie fliehen aus angstbesetzten Situationen und vermeiden diese in der Zukunft. Jemand, der eine starke Angst im Kaufhaus erlebt hatte, wird Kaufhäuser meiden. Jemand, der starke Angst vor dem Fahren in Aufzügen hat, wird immer die Treppe nehmen, um das Gefühl der Angst nicht erneut zu durchleben.
Manche Betroffene zeigen ein Sicherheitsverhalten, indem sie sich in Begleitung anderer Personen sicherer fühlen. Andere vermeiden es, alleine zu Hause zu sein. Andere wiederum tragen Medikamente bei sich, die sie im Falle starker Angst einnehmen könnten, oder nutzen Alkohol oder andere Substanzen, um die Angst einzudämmen. Dieses birgt die Gefahr einer Abhängigkeit. Manche Betroffene suchen nach medizinischer Sicherheit, indem sie wiederholt den Arzt aufsuchen oder den Notdienst rufen, obwohl an sich keine akute Gefahr besteht.
All diese Verhaltensweisen entstehen aus dem verständlichen Wunsch heraus, die Angst zu kontrollieren oder zu verhindern. Gleichzeitig können sie aber dazu führen, dass sich die Angst weiter verfestigt, auf andere Lebensbereiche ausweitet und das Leben immer stärker einschränkt.
Ursachen von Angst
Nicht jeder Mensch reagiert gleich stark auf belastende Situationen. Manche Menschen entwickeln relativ schnell Ängste, während andere gelassener bleiben. Dafür gibt es verschiedene Ursachen, die unter dem Begriff Vulnerabilität zusammengefasst werden, also die individuelle Verletzlichkeit oder Anfälligkeit für psychische Belastungen.
Zu den wichtigsten Entstehungsfaktoren gehören:
- Genetische Veranlagung: Wenn in einer Familie bereits Angststörungen vorkommen, ist die Wahrscheinlichkeit erhöht, selbst eine stärkere Angstneigung zu entwickeln.
- Belastende Lebensereignisse und Traumata: Schmerzhafte Erfahrungen wie Verluste, Unfälle oder Missbrauch können Spuren hinterlassen und das Angstsystem dauerhaft empfindlicher machen.
- Frühe Erlebnisse und Erziehung: Kinder, die in einem sehr ängstlichen Umfeld aufwachsen, übernehmen oft die Sichtweise der Eltern, die Welt erscheint ihnen gefährlicher, Unsicherheiten werden schneller als Bedrohung wahrgenommen.
- Verlusterfahrungen: Der Verlust geliebter Menschen, sei es durch Tod, Trennung oder das Ende einer wichtigen Beziehung, kann Ängste auslösen oder verstärken.
- Depression: Auch im Rahmen einer Depression kann es zu Ängsten kommen, diese muss vorrangig behandelt werden.
- Suchtmittel: Benzodiazepine, Alkohol oder Cannabis können kurzfristig beruhigen, langfristig jedoch Angst verstärken und Abhängigkeiten fördern.
- Körperliche Ursachen: Schilddrüsenerkrankungen, Vitamin- und Mineralstoffmängel, hormonelle Veränderungen, Blutzucker- und Stoffwechselstörungen, Nebenwirkungen von Medikamenten, Entzündungen oder Infekte.
Folgen von vermehrter Angst
- Innere Unruhe und Reizbarkeit, selbst bei Kleinigkeiten
- Konflikte in Beziehungen
- Körperliche Beschwerden wie Verspannungen, Kopfschmerzen, Magenprobleme oder Schlafstörungen
- Erschöpfung und Antriebslosigkeit
- Verlust von Lebensqualität
Wie Psychotherapie helfen kann
Psychotherapie ist ein bewährtes Mittel, um mit Angst besser umgehen zu lernen. Du wirst die Angst nicht ganz los, aber du kannst ihr den Schrecken nehmen, indem du sie annimmst und lernst, mit ihr umzugehen, um eine bessere Lebensqualität zu erlangen. Dazu verhilft uns die Psychotherapie, da sie mehrere zentrale Hilfestellungen bietet.
- Diagnose und Verständnis: Einordnen der Angst, Art, Stärke, Auslöser, Grundlage für gezielte Maßnahmen.
- Praktische Strategien und Methoden: Entspannungsverfahren wie Atemübungen, progressive Muskelentspannung oder autogenes Training.
- Veränderung von Gedankenmustern: Automatische, negative Gedanken erkennen, hinterfragen und realistischere Sichtweisen entwickeln.
- Werkzeuge für den Alltag: Kurzübungen, hilfreiche Formulierungen und Strategien, um akute Angstattacken zu bewältigen.
Angst bleibt ein Teil unseres Lebens, doch das Leben ist viel zu schön, um ihr die Hauptrolle zu überlassen. Wir können lernen, ihr einen Platz zu geben, ohne uns von ihr aufhalten zu lassen.
„Ich hatte mein ganzes Leben viele Probleme und Sorgen. Die meisten von ihnen sind aber niemals eingetreten.“
(Mark Twain)
Vielen Dank für Ihr Interesse an meinem Blog.


